Menschen, die im Mariazellerland leben und ihm ein „Gesicht“ geben.
Noch keine Veranstaltungen und eine zu ruhige Zeit durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie geben mir die Möglichkeit, eine „alte“ Blogserie wieder zu beleben – Menschen aus dem Mariazellerland. Es ist nun schon wieder einige Zeit her, als das letzte Portrait eines Mariazellerlandlers – Mariazellerlandlerin in der Blog-Serie „Menschen aus dem Mariazellerland“ hier zu lesen war. Es sind bereits einige Persönlichkeiten in meiner Timeline zur Veröffentlichung und sie werden hier im mariazellerland-blog.at in nächster Zeit einige Fragen zum Mariazellerland und zur eigenen Person beantworten.
Heute im Fokus – Josef Kuss – Fotografenmeister in 5. Generation, absoluter Familienmensch, der daraus seine Kraft schöpft, spielt mit ebensolcher Begeisterung am Schlagwerk der Stadtkapelle Mariazell und steuert gerne feinfühlig die Fernbedienung seiner Modellflugzeuge. Der ehemalige Mariazeller Bürgermeister stammt aus einer der ältesten Fotografenfamilien Europas, und seine Vorfahren kamen Mitte des 19. Jahrhunderts vom Mürztal nach Mariazell und gründeten hier das Fotogeschäft „Foto Kuss“, heute „Himmlische Geschenke“ Renate Kuss.
Alle veröffentlichten MariazellerlandlerInnen kann man in Zukunft dann gesammelt im Archiv unter der Kategorie MariazellerlandlerInnen finden oder man klickt unter dem Artikeltitel auf das Karteikarten-Icon „MariazellerlandlerInnen“.
Name: Josef Kuss
Beruf: Fotograf
Zuerst ein paar allgemeine Fragen, die ich jeder interviewten Persönlichkeit des Mariazellerlandes stelle bzw. stellen werde.
Hattest du einen Lebenstraum?
Ich komme aus einer Generation, die ihre Lebensplanung, so wie es heute üblich ist, nicht gemacht hat. Es war die Zeit eine andere, in der man mit großer Zuversicht in die Zukunft gegangen ist. Aber Träume im üblichen Sinn habe ich keine gehabt. Ich war immer sehr realistisch und pragmatisch. Was zu tun war, habe ich gemacht. Fotograf zu werden, war im damaligen Kontext eine Erwartung, die in mich gesetzt wurde, damit der Betrieb weiterläuft. Meine Erziehung fand bereits in diese Richtung statt. Der Lebensweg war somit bis zu einem gewissen Grad vorgezeichnet.
Was gefällt dir am Mariazellerland?
Das Mariazellerland ist ein gesegneter Ort, voll Spiritualität und Kraft. Es ist ein Privileg, hier leben zu können.
Was gefällt dir NICHT am Mariazellerland?
Die Problematik ist, dass wir im Tourismus und Wallfahrt eine ganze Generation verloren haben, und es nicht gelungen ist, unser Mariazellerland an die Erfordernisse eines modernen Tourismus anzupassen. Hier sind aus meiner Sicht viele Fehler gemacht worden oder Versäumnisse eingetreten, die jetzt zu der Situation führen, vor der wir stehen. Ich hoffe, dass wir die Kurve noch kriegen, bin aber nicht ganz optimistisch.
Was ist der schönste Platz im Mariazellerland?
Mit Abstand der schönste Platz ist die Basilika mit ihrem Hochaltar. Wenn man in der Basilika sitzt und zum Hochaltar schaut, ist dieses Bild einfach wirklich der wichtigste und schönste Platz im Mariazellerland. Bergwelt und Seen gibt es auch anderswo, aber dieser Platz in der Basilika ist der schönste Platz für mich.
Was sollte man im Mariazellerland unbedingt sehen bzw. machen?
Die meisten Menschen werden kommen, weil sie irgendeinen Bezug zur Basilika haben. Weiters empfehle ich eine Fahrt auf die Bürgeralpe, weil es unheimlich praktisch ist, dass die Talstation mitten im Ort ist. Diese ist niederschwellig erreichbar und am Gipfel hat man doch einen fantastischen Blick in unsere Bergwelt. Das Angebot an Museen, vom Heimathaus bis zum Eisenwerk Gußwerk ist interessant. Etwas weiter entfernt, aber noch nah genug, ist das Wassermuseum in Wildalpen ein Geheimtipp. Das Erholungsgebiet Erlaufsee hat seinen eigenen Reiz. Es gibt viele, viele Möglichkeiten im Mariazellerland seine Freizeit zu gestalten.
Nachfolgende Fragen werden an die jeweilige Person angepasst und sind fast immer anders.
Du bist in der 5. Generation Fotograf. Wie siehst du die Zukunft der Fotografie?
Durch die technische Entwicklung hat sich die Branche völlig verändert. Das, was wir über fünf Generationen im analogen Bereich gemacht haben, ist durch die technische Entwicklung vorbei. Die Umstellung ist ungefähr so wie von der Dampfmaschine zum Elektromotor. Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Anwendungsmöglichkeiten der Bildgestaltung, Bildverarbeitung und Bildweitergabe haben sich grundsätzlich verändert. Es wird den Beruf des klassichen Fotografen so in Zukunft nicht mehr geben. Er wird sich dahingehend verändern, dass es nur mehr wenige Spezialisten geben wird, die hochqualitative Aufgaben erfüllen. Der Rest wird durch die technischen Möglichkeiten insoweit für jeden anwendbar, dass ohne großen Aufwand gute Bilder machbar sind. Wir haben in den letzten 40 Jahren diese Umstellung durchleben müssen. Gott sei Dank haben wir es geschafft, auch auf Grund der tollen Einsatzkraft meiner Frau Renate, uns ein zweites Standbein zu schaffen, welches uns wirtschaftlich überleben hat lassen. Für meine Kinder ist die wirtschaftliche Grundlage leider nicht ausreichend attraktiv. Deshalb ist ihr Lebensmittelpunkt leider nicht mehr in ihrer Heimat, was aber nicht heißt, dass sie nicht mit viel Herzblut und Engagement immer wieder gerne nach Mariazell kommen. Sie sorgen sich auch um die Zukunft Mariazells, versuchen ihre Heimat hochzuhalten und machen Werbung für das schöne Mariazellerland. Es fehlen leider die qualifizierten Arbeitsplätze für unsere jungen Menschen. Dieses Problem lässt sich leider schwer lösen.
Wie hast du deine Zeit als Bürgermeister empfunden?
Das war mit Sicherheit die Zeit mit der größten persönlichen Bereicherung. Ich habe dabei unheimlich viel gelernt. Ich habe nicht gewusst, bevor ich das Amt angetreten habe, was dies wirklich heißt. Habe dann aber relativ schnell lernen müssen und lernen dürfen, wie das politische System für Verantwortungsträger in Österreich wirklich funktioniert. Es war sehr, sehr spannend und prägt jetzt mein Denken, weil ich es jetzt aus der Sicht eines politischen Verantwortungsträgers sehe, und dies ist eine völlig andere Welt.
Welche Erfahrungen hast du daraus für dich mitgenommen?
Die Erfahrung, dass das Finden von politischen Entscheidungen und deren Umsetzung wirklich das Bohren dicker Bretter ist und dass man oft in Situationen kommt, wo man aus Gründen der Rationalität gegen die eigenen Überzeugungen handeln muss.
Was liegt dir besonders am Herzen?
Mir liegt am Herzen, dass sich Mariazell so weiterentwickelt, dass es auch für die nächsten Generationen keine „Filmkulisse“ wird. Ich möchte nicht, dass Mariazell zum Disneyland verkommt. Wo man in der Früh am Seeberg oder am Annaberg aufsperrt. Dann fährt man rein ins Mariazellerland, die Andenkengeschäfte und die Bistros werden bewirtschaftet, und am Abend fahren wieder alle fort, und es lebt niemand mehr hier. Das ist eigentlich das, was mich am meisten beschäftigt, und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es nur über den Tourismus geht, dass man hier Lebensraum schafft für Menschen und deren Beschäftigung. Nach dieser Coronageschichte ist das Zeitfenster extrem eng, diese aufgelegten Möglichkeiten, die vorhanden sind, wie die Nähe zu Wien, die Ruhe, die Abgeschiedenheit, dieser völlig andere Zugang zum Leben jetzt touristisch umzusetzen. Ich sehe keinen Mastermind im Hintergrund der dies regelt.
Gibt es etwas, was du unbedingt noch erleben möchtest?
Ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden und habe für mich alles gemacht, was ich machen wollte. In meinem Alter ist es jetzt schon so, dass man sich grundsätzlich eher darüber Gedanken macht, dass man gesund die letzten Jahre verbringen kann. Auch diesbezüglich bin ich froh, dass ich in Mariazell leben kann. Ganz im Gegensatz zu vielen Anderen bin ich fest davon überzeugt, dass unsere medizinische Versorgung hier Vorbildcharakter hat und sich viele, viele andere Regionen alle zehn Finger „abschlecken“ könnten, wenn sie so eine kompakte Versorgung in diesem Bereich hätten. Selbstverständlich ist alles verbesserungsfähig. Aber ich glaube, dass auf Grund der gesamten Situation Mariazell in der Gesundheitsversorgung da sehr gut aufgestellt ist.
Wie wird die Welt aus deiner Sicht nach Corona sein?
Ich hoffe, dass die Krise, die jetzt ganz, ganz deutlich wie ein Brennglas wirkt und auf die nicht so ganz „sauberen Entwicklungen“ und dadurch auf menschliche Verhaltensmuster hinweist, zum Nachdenken führt. Vielleicht verändert dies bei manchen die Wertescala. Man sollte sich wieder viel mehr bewusst machen, dass man nur ein unbedeutender kleiner Mitspieler in der Geschichte ist. Dementsprechend sollte man sich so verhalten im Bezug auf, wieviel nehme ich mir heraus und was ist meine Erwartungshaltung an Staat und Gesellschaft. Ich hoffe, dass die Menschen wieder zurückkommen auf mehr Eigenverantwortung, einen demütigeren Umgang mit der Natur und den Ressourcen. Der Bildung wieder viel mehr Bedeutung beimessen, wieder versuchen, die Besten hervorzubringen und nicht alles auf ein unerkennbares Mittelmaß zu nivellieren. Das ist meine Hoffnung und dass die Diskussion weniger aufgeregt vor sich geht, und nicht täglich ein politisches Kasperltheater aufgeführt wird, tatkräftig unterstützt von den Journalisten. Dies ist wirklich mühsam.